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2. Mai 2025

Beweislastumkehr bei Vermögensabschöpfung –eine stille Zeitenwende

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Die Beweislastumkehr bei Vermögensabschöpfung, wie sie im Koalitionsvertrag angekündigt wird, mag technisch klingen – tatsächlich aber gefährdet sie ein zentrales Prinzip des liberalen Rechtsstaats: Der Bürger wird immer schneller zum Verdächtigen.

Der Koalitionsvertrag der zukünftigen Bundesregierung enthält eine Formulierung, die auf den ersten Blick harmlos klingen mag – tatsächlich aber einen fundamentalen Bruch mit den Prinzipien eines liberalen Rechtsstaats markiert. Wörtlich heißt es:

„Wir regeln, dass beim Einziehen von Vermögen unklarer Herkunft künftig eine vollständige Beweislastumkehr gilt, und setzen die Empfehlungen der Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur Optimierung des Rechts der Vermögensabschöpfung um.“

Ziel der Regelung ist es, die Bekämpfung organisierter Kriminalität und von Geldwäsche effektiver zu gestalten. Was aber wie ein nüchternes technisches Instrument erscheint, ist in Wahrheit ein Paradigmenwechsel: Die Beweislast soll nicht mehr bei der Strafverfolgungsbehörde liegen, sondern beim Einzelnen. Wer die rechtmäßige Herkunft seines Vermögens nicht nachweisen kann, riskiert dessen Einziehung – auch ohne Schuldspruch.

Was dabei oft übersehen wird

Viele Menschen dürften dieser Maßnahme zunächst mit einem Achselzucken begegnen: „Wer nichts zu verbergen hat, hat auch nichts zu befürchten.“

Aber genau dieser Satz zieht sich wie ein roter Faden durch die Geschichte autoritärer Systeme. Er war das stets wiederkehrende Argument im Totalitarismus – von der Stasi bis zur „Nationalen Sicherheit“ in anderen Ländern. Wer ein Problem mit staatlicher Kontrolle habe, müsse ja etwas zu verbergen haben. Eine Umkehrung der Logik des freiheitlichen Staates.

Der freiheitliche Staat aber ist gerade dadurch definiert, dass er seinen Bürgern gegenüber in der Beweispflicht steht – nicht umgekehrt. Die Unschuldsvermutung ist nicht verhandelbar. Wer sie aufweicht, auch nur in Randbereichen wie der Vermögensabschöpfung, öffnet Türen, die sich später schwer wieder schließen lassen.

Die Lehre des Volkszählungsurteils

Es ist noch gar nicht so lange her, dass sich Bürger in Deutschland in großer Zahl gegen eine Volkszählung gewehrt haben. Das Bundesverfassungsgericht sprach 1983 vom „Recht auf informationelle Selbstbestimmung“ – ein damals neues, heute oft vergessenes Grundrecht. Damals war das Misstrauen gegenüber einem allzu neugierigen Staat groß. Heute hingegen scheint die Bereitschaft, dem Staat nahezu vollständige Transparenz über das eigene Leben zu gewähren, deutlich größer zu sein – fast so, als habe sich das gesellschaftliche Gedächtnis erschöpft.

Doch dieses Vertrauen ist nicht selbstverständlich. Und es darf nicht zur Blaupause für einen Staat werden, der zunehmend auf Überwachung und Kontrolle setzt – selbst wenn er dies mit „guten Absichten“ begründet, die der Kampf gegen Schwarzgeld und die organisierte Kriminalität unbestritten ist.

Wer künftig betroffen sein kann

Wer glaubt, die Beweislastumkehr betreffe ausschließlich Kriminelle oder dubiose Vermögensstrukturen, verkennt die Reichweite der geplanten Regelung. Tatsächlich können auch rechtlich völlig unverdächtige Bürgerinnen und Bürger in den Fokus geraten:

  • Erbschaften aus dem Ausland: Wer von einem Verwandten in einem Drittstaat Bargeld oder Vermögenswerte erbt, kann oft keine lückenlose Herkunftsdokumentation liefern – nicht aus bösem Willen, sondern wegen anderer Rechtskulturen. Dennoch droht die Einziehung des geerbten Vermögens.
  • Bargeldgeschäfte unter Privatpersonen: Ein Oldtimer, ein Kunstwerk – verkauft gegen Bargeld. Solche Geschäfte sind legal. Doch wer Jahre später das Geld nutzt und keinen klaren Nachweis mehr hat, wie es ursprünglich erworben wurde, könnten nun schnell in den Verdacht „unklarer Herkunft“ geraten.
  • Familiäre Schenkungen: Eltern schenken ihren Kindern kleinere oder größere Beträge – vielleicht sogar über Jahre. Nicht jede Schenkung wird dokumentiert oder notariell beurkundet. Der gute Wille innerhalb der Familie schützt aber nicht vor späteren Zweifeln von außen.

Diese Konstellationen zeigen: Es geht nicht nur um das Strafrecht im engeren Sinne. Es geht um die Grundstruktur unseres Rechtsverständnisses. Und um die Frage, ob wir bereit sind, bürgerliche Freiheit gegen Effizienz im Strafrecht einzutauschen.

Einordnung und Ausblick

Juristisch wird man sagen: Die geplante Beweislastumkehr betreffe nur die Vermögensabschöpfung, nicht die Schuldfeststellung selbst. Das mag stimmen – formal. Faktisch aber etabliert der Gesetzgeber erstmals eine echte Beweislastumkehr im materiellen Strafrecht. Damit entsteht eine Praxis staatlicher Sanktionierung ohne Schuldspruch. Die Richtung ist klar: Misstrauen wird zur Norm. Wie lange wird es dauern, bis das Bargeld insgesamt unter staatlichen Argwohn geraten und der Staat den Anspruch entwickeln wird, alle Transaktionen seiner Bürger kontrollierbar machen können – zur Verhinderung ausufernder Steuerhinterziehungen selbstverständlich.  

Ob diese Entwicklung mit dem Grundgesetz und der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts vereinbar ist, bleibt offen. Klar ist nur: Der Staat verlässt hier einen Bereich, in dem er sich bislang – mit gutem Grund – zurückgehalten hat.

Fazit:

Die Bekämpfung von Geldwäsche und organisierter Kriminalität ist zweifellos ein legitimes Anliegen. Aber sie darf nicht dazu führen, dass wir grundlegende Prinzipien unseres Rechtsstaats preisgeben. Der freiheitliche Staat lebt vom Vertrauen in seine Bürger – nicht von deren lückenloser Durchsichtigkeit. Genau das hat uns das Volkszählungsurteil gelehrt. Es wäre gut, wenn wir uns daran erinnern.

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