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15. Dezember 2024

Corona-Teststellen und Strafanzeigen im Schnellverfahren: Die gefährliche Praxis der Kassenärztlichen Vereinigungen

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Der Bundesgerichtshof hat erneut ein Urteil zur strafrechtlichen Aufarbeitung der Corona-Teststellen-Problematik gefällt. In dem konkreten Fall (Beschluss vom 4. Dezember 2024 – 5 StR 498/23) wurde der Betreiber mehrerer Testzentren in Berlin wegen Betrugs in 67 Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von acht Jahren und neun Monaten verurteilt. Seine Schwester, die als Gehilfin mitwirkte, erhielt eine Bewährungsstrafe. Der BGH bestätigte den Schuldspruch im Wesentlichen, hob jedoch Teile des Urteils auf und verwies sie zur neuen Entscheidung an das Landgericht zurück.

Die Entscheidung zeigt, wie drastisch die Justiz mit mutmaßlichem Betrug im Zusammenhang mit Corona-Teststellen umgeht. Doch sie ist auch ein warnendes Beispiel dafür, wie schnell Strafverfahren in diesem Bereich ins Rollen gebracht werden – nicht selten aufgrund automatisierter Prüfverfahren und vorschneller Strafanzeigen der Verrechnungsstellen der Krankenkassen.

Strafanzeige per Algorithmus: Wenn Maschinen über Existenzen entscheiden

Die Problematik beginnt oft schon vor der staatsanwaltschaftlichen Ermittlung. Kassenärztliche Vereinigungen und Verrechnungsstellen setzen Algorithmen ein, um auffällige Abrechnungen zu identifizieren. Diese Software sucht nach Abweichungen von „üblichen“ Mustern – eine Methode, die in der Theorie sinnvoll klingt, in der Praxis jedoch massive Probleme schafft:

  • Keine Einzelfallprüfung: Die Programme erkennen Abweichungen, aber nicht die Gründe dahinter. Ein überdurchschnittliches Abrechnungsvolumen kann viele legitime Ursachen haben – von erhöhtem Bedarf in bestimmten Regionen bis hin zu organisatorischen Besonderheiten.
  • Automatische Strafanzeigen: Anstatt Verdachtsfälle intern gründlich zu prüfen, erstatten Verrechnungsstellen in vielen Fällen direkt Anzeige. Diese Strafanzeigen sind qualitativ oft besorgniserregend und werden mitunter von Rechtsreferendaren verfasst und auf den Weg gebracht. Ein Anfangsverdacht nach der StPO ist schnell bejaht und ein monatelanges Ermittlungsverfahren beginnt. Die Betroffenen Betreiber der Testzentren, die bis zu diesem Zeitpunkt "nur" mit der Kassenärztlichen Vereinigung über ausgebliebene Zahnlungen gestritten haben, erfahren erst Monate später, dass sie sich zwischenzeitlich in das Visier der Strafverfolger geraten sind.
  • Kein Verständnis für pandemische Realität: In der Hochphase der Pandemie herrschten chaotische Zustände. Vorgaben änderten sich ständig, Teststellen wurden mit unklaren Anforderungen überhäuft, und bürokratische Fehler waren an der Tagesordnung. Doch rückblickend wird nun so getan, als wäre jede Unregelmäßigkeit immer ein krimineller Akt gewesen.

Hohe Schadenssummen, hohe Fallzahlen, hohe Strafen

Die betroffenen Ärzte, Apotheker und Unternehmer geraten schnell in große Gefahr:

1. Die Schadenssummen steigen rasant

Schon geringfügige Unstimmigkeiten in den Abrechnungen führen zu astronomischen Summen. Da das Strafrecht den gesamten Erstattungsbetrag als „Schaden“ betrachtet, können Millionenbeträge im Raum stehen – mit entsprechenden strafrechtlichen Konsequenzen.

2. Moralische Vorverurteilung als „Pandemie-Betrüger“

Die Ermittlungsbehörden neigen dazu, den Unrechtsgehalt von Subventionsbetrug besonders hoch anzusetzen. Der Vorwurf, „die Gesellschaft in einer Notlage geschädigt“ zu haben, wiegt schwer und sorgt für drastische Strafandrohungen. Selbst wer aus organisatorischem Chaos oder Unwissenheit falsch abrechnete, sieht sich schnell mit einem Vorwurf konfrontiert, der ihn als skrupellosen Krisenprofiteur abstempelt.

Jahrelange Aufarbeitung – mit ungewissem Ausgang

Die Aufarbeitung der Corona-Fälle wird sich noch über Jahre hinziehen. Verfahren wie das nun entschiedene zeigen, wie komplex die Materie ist – und dass selbst bei klar erscheinenden Sachverhalten Urteile aufgehoben und neu verhandelt werden müssen. Für viele Betroffene bedeutet das jahrelange Unsicherheit, existenzbedrohende Strafverfahren und eine belastende gesellschaftliche Ächtung.

So dramatisch die tatsächlichen Betrugsfälle gewesen sein mögen, sollte auch und immer im Blick behalten werden, dass die Art und Weise der Ermittlungen und Anzeigenerstattung durch die Kassenärztlichen Vereinigungen erhebliche Kollateralschäden verursacht. Zumal die Kassenärztlichen Vereinigungen es seinerzeit in der Hand gehabt hätten, die offenkundigen Betrugsfälle von vornherein auszufiltern. Dort versteckt man sich heute allerdings hinter der damals angeblich fehlenden gesetzlichen Grundlage für Überprüfungen. Ein Schelm, wer der mitverdienenden Vereinigung ein Eigeninteresse an der mangelnden Prüfung unterstellt.

Auch wenn die Aufarbeitung noch lange dauern wird, wissen wir heute schon, dass Vieles im Unklaren bleiben wird. Es ist höchste Zeit, dass die Verrechnungsstellen der Kassenärztlichen Vereinigungen sich ihrer Verantwortung bewusst werden. Strafanzeigen dürfen nicht auf Basis fragwürdiger Algorithmen erstattet werden, sondern müssen erst nach sorgfältiger Prüfung erfolgen. Sonst bleibt am Ende nicht nur der Schaden für den Einzelnen, sondern auch für die Glaubwürdigkeit eines Rechtssystems, das zu vorschnellen Verdächtigungen neigt.

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