Mit seinem Urteil vom 30. Januar 2025 (5 StR 528/24) hat der Bundesgerichtshof (BGH) entschieden, dass EncroChat-Daten auch nach der Änderung des Betäubungsmittelgesetzes für den Nachweis von Straftaten verwertbar bleiben. Konkret ging es um einen Fall des Handels mit Cannabisprodukten im Jahr 2020, bei dem das Landgericht Berlin I den Angeklagten freigesprochen hatte. Das Gericht hatte argumentiert, dass eine derart weitreichende Ermittlungsmaßnahme, wie sie für EncroChat-Daten erforderlich war, nach der Gesetzesänderung heute nicht mehr zulässig sei und deshalb auch nicht mehr als Beweismittel genutzt werden dürfe.
Der BGH sah dies anders und stellte klar: Maßgeblich für die Verwertbarkeit sei der Rechtszustand zum Zeitpunkt der Datenerhebung – nicht eine spätere Gesetzesänderung. Damit hat das oberste Strafgericht eine Linie bestätigt, die in der Strafverteidigung für erhebliche Diskussionen sorgen wird.
Die Bedeutung von EncroChat-Daten für Strafverfahren
Die Verwertung von EncroChat-Daten ist seit Jahren ein heiß diskutiertes Thema. Die Verschlüsselungsplattform wurde ursprünglich für vertrauliche Kommunikation entwickelt, geriet jedoch ins Visier europäischer Ermittlungsbehörden, die eine umfassende Überwachung durchführten. Die französischen Behörden sicherten massenhaft Kommunikationsdaten und stellten sie über eine Europäische Ermittlungsanordnung (EEA) anderen Staaten, darunter Deutschland, zur Verfügung.
Kritiker bemängeln, dass diese Überwachung in einer rechtlichen Grauzone stattfand. Die Frage, ob eine flächendeckende Überwachung sämtlicher Kommunikation einer Plattform überhaupt mit rechtsstaatlichen Prinzipien vereinbar ist, wird nach wie vor kontrovers diskutiert.
Warum die Entscheidung des BGH problematisch ist
Die Entscheidung des BGH setzt die bisherige Rechtsprechung zu Beweisverwertungsverboten fort, verkennt jedoch eine zentrale rechtsstaatliche Fragestellung: Wenn eine Ermittlungsmaßnahme heute nicht mehr zulässig wäre, kann sie dann weiterhin die Grundlage für eine Verurteilung sein?
Das Landgericht Berlin I hatte sich auf eine strenge Auslegung des Verhältnismäßigkeitsprinzips gestützt. Es folgte der Argumentation einiger Oberlandesgerichte, die eine Unverwertbarkeit der EncroChat-Daten für Straftaten im Bereich des Cannabishandels bejaht hatten. Schließlich hat sich die rechtliche Bewertung dieser Taten durch das neue Cannabisgesetz erheblich geändert.
Der BGH hält dagegen: Weil die Tat zum Zeitpunkt der Datenerhebung nach § 29a BtMG als Verbrechen eingestuft war, seien die Daten rechtmäßig erlangt worden. Eine spätere Entkriminalisierung oder Herabstufung der Strafbarkeit dürfe die Verwertbarkeit nicht beeinflussen. Dies ist ein formal-juristischer Standpunkt, der jedoch wenig Raum für eine dynamische Auslegung des Strafverfahrensrechts lässt.
Rechtsstaatliche Bedenken und die Rolle der Verteidigung
Die Entscheidung des BGH zeigt erneut, dass der Grundsatz „in dubio pro reo“ nicht für Beweisverwertungsfragen zu gelten scheint. Die EncroChat-Ermittlungen beruhen auf einer Form der digitalen Massenüberwachung, deren Reichweite und Eingriffsintensität beispiellos ist. Die Verteidigung muss sich deshalb weiterhin konsequent gegen die Nutzung solcher Daten wehren – nicht nur aus prozesstaktischen Gründen, sondern aus einem fundamentalen rechtsstaatlichen Prinzip heraus.
Ein weiteres Problem ist, dass der BGH in seiner Entscheidung zwar auf die Unionsrechtskonformität der Datenübermittlung verweist, aber die eigentliche Frage nach der Grundrechtsschwere der Datenauswertung in Deutschland nur am Rande behandelt. Dass eine Maßnahme heute als unverhältnismäßig gilt, müsste auch Auswirkungen auf die Verwertung in bereits laufenden Verfahren haben. Andernfalls bleibt der Eindruck bestehen, dass Grundrechte nur solange eine Rolle spielen, wie sie nicht die Strafverfolgung behindern.
Fazit: Die Verteidigung bleibt gefordert
Die Entscheidung des BGH mag aus Sicht der Strafverfolgung logisch erscheinen, hinterlässt jedoch ein rechtsstaatliches Unbehagen. Die Strafverteidigung darf sich mit solchen Ergebnissen nicht zufriedengeben. Gerade in Zeiten, in denen digitale Überwachungsmethoden immer weiter ausgebaut werden, ist es entscheidend, ein scharfes Auge auf die Verhältnismäßigkeit zu haben.
Die Verteidigung muss weiterhin alle rechtlichen Mittel ausschöpfen, um gegen die Verwertung solcher Daten vorzugehen – insbesondere mit Blick auf die Grundrechtsfragen, die der BGH in diesem Urteil nur am Rande berührt hat. Auch wenn der Weg über das Bundesverfassungsgericht oder den Europäischen Gerichtshof lang sein mag: Die konsequente Verteidigung ist der einzige Schutz gegen eine Aushöhlung der Verfahrensrechte.
Denn klar ist: Die Grenzen des Rechtsstaats werden nicht von der Strafverfolgung gezogen – sondern von denen, die sich ihr entschlossen entgegenstellen.