1. Einleitung
Die Europäische Union (EU) hat seit Beginn des Ukraine-Krieges insgesamt 16 Sanktionspakete gegen Russland beschlossen. Während sich der Fokus zunächst auf direkte Exporte nach Russland konzentrierte, rücken zunehmend Umgehungssachverhalte über Drittstaaten, insbesondere über China, in den Mittelpunkt der Ermittlungs- und Beratungspraxis. Das Thema ist von hoher praktischer Relevanz, da sich die Sanktionen nicht nur gegen Russland als Adressat, sondern auch gegen alle an einer Umgehung Beteiligten richten. Unternehmen, die mit China im Außenhandel aktiv sind, geraten damit auch ohne unmittelbare Russlandbeziehung in das Blickfeld der Ermittlungsbehörden.
2. Rechtlicher Rahmen
Die maßgeblichen Sanktionsgrundlagen ergeben sich aus der VO (EU) Nr. 833/2014 (EUR-Lex-Link) in der Fassung der 14. bis 16. Änderungsverordnung. Gegenstand sind umfangreiche Export-, Import- und Dienstleistungsverbote, insbesondere für:
- Dual-Use-Güter
- militärisch nutzbare Produkte
- Hochtechnologie
- Eisen- und Stahlprodukte
- Rohöl, Raffinerieerzeugnisse, Kohle, Gold, Diamanten • Maschinen und Komponenten für den Industriesektor
- Maschinen und Komponenten für den Industriesektor
Darüber hinaus enthält Art. 12 VO (EU) 833/2014 ein ausdrückliches Umgehungsverbot. Bereits das bewusste oder fahrlässige Fördern der Sanktionsevasion begründet eine Sanktion.
Der nationale Rechtsrahmen ergibt sich im Wesentlichen aus:
- § 18 AWG (Embargoverstöße): Strafrahmen bis zu 5 Jahren Freiheitsstrafe, in besonders schweren Fällen bis zu 10 Jahren.
- § 19 AWG (Verstöße gegen Genehmigungsauflagen): Strafrahmen bis zu 5 Jahren Freiheitsstrafe.
- § 130 OWiG (Aufsichtspflichtverletzung): Grundlage für Unternehmensgeldbußen nach § 30 OWiG.
- § 261 StGB (Geldwäsche): insbesondere relevant bei Zahlungsströmen über verschleierte Strukturen.
Die Sanktionsverordnungen sehen zudem sektorale Maßnahmen gegen Drittstaaten vor, die Umgehungen unterstützen (Art. 12a VO (EU) 833/2014).
Hilfreich sind zudem die einschlägigen BAFA-Hinweise zur Russland-Embargoverordnung sowie die regelmäßig aktualisierten FAQ der Europäischen Kommission.
3. Die Neuerungen des 16. Sanktionspakets (seit Februar 2025)
Am 24. Februar 2025 hat die Europäische Union mit Inkrafttreten am 25. Februar 2025 das 16. Sanktionspaket gegen Russland verabschiedet (siehe BAFA-Hinweis). Die neuen Maßnahmen vertiefen die bereits bestehenden Restriktionen und verschärfen insbesondere die Umgehungskontrollen.
Zentrale Neuerungen sind:
- Erweiterung der Anti-Umgehungsmaßnahmen: Überarbeitung von Art. 12a VO (EU) 833/2014 zur Bekämpfung von Umgehungen über Drittstaaten. Erstmals sind nun auch Güterlieferungen in bestimmte Nachbarländer Russlands (u.a. Kasachstan, Usbekistan, Armenien) erfasst, wenn Anhaltspunkte bestehen, dass die Güter für den russischen Markt bestimmt sind.
- Einfuhrkontingente und Importverbote: Einführung von mengenmäßigen Beschränkungen für russisches Aluminium und weitere Rohstoffe.
- Ausfuhrverbote für Vorprodukte: Neu aufgenommen wurden Chemikalien und chemische Vorprodukte, die in der Rüstungsindustrie eingesetzt werden können.
- Maßnahmen gegen die sog. Schattenflotte: Verbot der Bereitstellung technischer Dienstleistungen und Versicherungen für Schiffe, die mutmaßlich zur Umgehung der Ölpreisobergrenze eingesetzt werden.
- Ausweitung der Sanktionsliste: Listung von 48 weiteren natürlichen Personen und 35 Unternehmen, insbesondere aus den Sektoren Verteidigung, Hochtechnologie, Transport und Logistik.
Die Änderungen stärken den europäischen Rechtsrahmen erheblich und bringen insbesondere für Unternehmen mit Drittstaatenbeziehungen zusätzliche Prüfpflichten mit sich.
4. Typische Risikokonstellationen
a. Exporte Deutschland → China → Russland
Der „klassische“ Umgehungstatbestand. Güter werden von Deutschland nach China exportiert und gelangen von dort nach Russland. Der Tatbestand des § 18 AWG ist regelmäßig erfüllt, wenn der Exporteur bei sorgfältiger Prüfung hätte erkennen können, dass die Ware für Russland bestimmt ist (Art. 12 VO (EU) 833/2014).
b. Importe Russland → China → Deutschland
Neuere Sanktionspakete verschärfen auch die Importkontrollen. Russische Rohstoffe gelangen über China in die EU. Maßgeblich ist der Ursprung, nicht der letzte Lieferstaat. Die Vorschrift des Art. 3g VO (EU) 833/2014 untersagt bestimmte Einfuhren aus Russland auch bei Zwischenstationen in Drittstaaten.
c. Finanz- und Zahlungsströme
Sanktionsumgehungen erfolgen häufig über chinesische Banken oder alternative Zahlungssysteme (z.B. Kryptowährungen). Finanzdienstleistungen und Zahlungsströme unterliegen Art. 5 VO (EU) 833/2014.
d. Verdeckte Geschäftsstrukturen
Russische Unternehmen bedienen sich zunehmend chinesischer Partner, um Handels- und Zahlungswege zu verschleiern. Zu beobachten sind sog. „middleman structures“ oder Scheinfirmen, die den russischen Einfluss verdecken sollen. Vielen chinesischen Unternehmen mit Standorten in Deutschland scheint die Tragweite und die Gefahr einer solchen Beteiligung nicht in vollem Umfang bekannt zu sein.
5. Materiell-rechtliche Fragestellungen
Besondere Praxisrelevanz hat die Auslegung von „wissen oder wissen müssen“ in Art. 12 VO (EU) 833/2014. Die Rechtsprechung (u.a. OLG Hamburg, 1 Ws 19/17; OLG Stuttgart, 4 Ws 83/16) verlangt eine betriebsangemessene Organisation, um Umgehungstatbestände zu erkennen. Ein strukturelles Compliance-Versagen kann bereits die Grundlage für die Annahme von Leichtfertigkeit oder Eventualvorsatz bilden.
Die Reichweite der Ermittlungen erstreckt sich selbstredend auch auf das Management (§ 130 OWiG) und die Organe der Unternehmen, soweit ein Compliance-Versagen zur Tat beigetragen hat.
6. Ermittlungs- und Verfolgungspraxis
Die Ermittlungen werden federführend von den Zollfahndungsämtern und Schwerpunktstaatsanwaltschaften (z.B. Frankfurt, München, Hamburg) geführt. Bereits kleinere mittelständische Unternehmen geraten zunehmend ins Visier, insbesondere wenn sie Handelsbeziehungen nach China unterhalten. Die Ermittlungsbehörden nutzen dabei auch internationale Kooperationen und offene Quellen.
7. Verteidigungsansätze und Compliance
Für die Verteidigungspraxis entscheidend sind:
- Implementierung und Dokumentation wirksamer Exportkontroll- und Sanktions-Compliance
- Durchführung von Endverbleibskontrollen (End-Use Checks)
- Durchführung von Red Flag-Analysen (BAFA-Leitlinie)
- Frühzeitige Kontaktaufnahme zu BAFA und Ermittlungsbehörden
- Aktive Risikokommunikation innerhalb der Unternehmensleitung
Verteidigungsansätze bestehen häufig in der sorgfältigen Darstellung von internen Prüf- und Dokumentationsprozessen, die bei sorgfältiger Beachtung erhebliche Entlastung begründen können.
7. Ausblick
Mit weiteren Verschärfungen der Sanktionsvorschriften, insbesondere gegen Drittstaaten, ist zu rechnen. Die Praxis zeigt bereits jetzt eine wachsende Zahl von Ermittlungsverfahren gegen Unternehmen, die ursprünglich nicht im Fokus der Sanktionen standen. Präventive Beratung und strukturierte Verteidigungsstrategien gewinnen damit erheblich an Bedeutung.