Umsatzsteuerkarusselle und Strafrecht: Mehr Schutz für gutgläubige Unternehmer?
Der Vertrauensschutz im Umsatzsteuerkarussell steht erneut auf dem Prüfstand. Der Bundesfinanzhof (BFH) muss klären, ob gutgläubige Unternehmer ausreichend vor steuerlichen und strafrechtlichen Folgen geschützt sind. Anlass ist eine zugelassene Revision gegen ein Urteil des Finanzgerichts Sachsen vom 24.10.2023 (2 K 92/21). Dieses beschränkt den Vertrauensschutz bei der Differenzbesteuerung auf das Billigkeitsverfahren – ein unsicherer Weg für betroffene Unternehmen. Sollte der BFH seine Rechtsprechung ändern, hätte das tiefgreifende Folgen.
Eine geänderte BFH-Rechtsprechung könnte weitreichende Folgen haben. Vor allem für Unternehmer, die unwissentlich in Umsatzsteuerkarusselle geraten.
Was passiert, wenn das Finanzamt diesen Schutz verweigert? Gutgläubige Unternehmer, die auf falsche Angaben ihrer Geschäftspartner vertraut haben, werden schnell zu Verdächtigen. Neben steuerlichen Nachforderungen droht die Einleitung eines Strafverfahrens.
Der Fiskus verfolgt dabei ein Eigeninteresse: Wenn er dem Unternehmer „nachweist“, dass er die Betrugsgefahr hätte erkennen müssen, kann er ihn haftbar machen. So wird der Vertrauensschutz zu einem Instrument, das gegen den Unternehmer wirkt.
Das Dilemma des gutgläubigen Unternehmers im Umsatzsteuerrecht
Das Umsatzsteuersystem in der EU funktioniert nach dem Allphasen-Netto-Prinzip. Unternehmer zahlen Umsatzsteuer auf ihre Lieferungen, dürfen aber die Vorsteuer abziehen. In der Theorie entsteht dadurch kein finanzieller Nachteil.
In der Praxis aber ist das System anfällig für Betrug. Vor allem durch sogenannte „Missing Trader“, also Unternehmen, die Umsatzsteuer hinterziehen und dann verschwinden.
Immer wieder geraten unbeteiligte Unternehmer in solche Karusselle – ohne eigenes Verschulden.
Der Vertrauensschutz im Umsatzsteuerkarussell bleibt dabei unklar geregelt. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat zwar klargestellt: Wer gutgläubig handelt, soll keinen steuerlichen Schaden tragen. Doch deutsche Finanzgerichte sehen das oft anders. Der BFH betont, dass Vertrauensschutz nur im Billigkeitsverfahren nach §§ 163, 227 AO geltend gemacht werden kann. Dieses Verfahren ist langwierig und unsicher.
Vom Steuerproblem zur Strafverfolgung: Ein gefährlicher Mechanismus
Die Situation verschärft sich, wenn die Strafverfolgung einsetzt. Wer in der Lieferkette falsche Rechnungen verwendet, riskiert eine Anzeige wegen Steuerhinterziehung oder Beihilfe.
Ermittlungsbehörden stellen dann häufig folgende Fragen:
- Musste der Unternehmer erkennen, dass er Teil eines Karussells war?
- Gab es Hinweise auf fehlende wirtschaftliche Substanz beim Geschäftspartner?
- Wurden Rechnungen und Geschäftspartner sorgfältig geprüft?
Die Praxis zeigt: Finanzbehörden unterstellen oft leichtfertig Vorsatz oder Fahrlässigkeit. Gleichzeitig bleibt der Vertrauensschutz schwach ausgeprägt. Das belastet ehrliche Unternehmer zusätzlich.
Die Ursache liegt nicht nur im Recht, sondern im System selbst. Solange das Umsatzsteuermodell unverändert bleibt, besteht die Gefahr ungewollter Verstrickung.
Ein reformbedürftiges System?
Die anstehende BFH-Entscheidung könnte eine Wende bringen. Doch sie löst das Grundproblem nicht.
Warum erlaubt ein Steuersystem überhaupt, dass gutgläubige Unternehmer strafrechtlich belangt werden können? Warum haftet der Unternehmer, wenn sein Lieferant keine Umsatzsteuer abführt – obwohl er diese bereits gezahlt hat?
Wäre es nicht logischer, wenn das Finanzamt kontrollieren und haften müsste? Die Behörde verfügt über viel mehr Informationen als der einzelne Unternehmer.
Ein möglicher Ausweg: das Reverse-Charge-Verfahren. Dabei schuldet der Leistungsempfänger die Umsatzsteuer direkt. So ließe sich Karussellbetrug erheblich erschweren. Kanada und Australien haben mit diesem Modell gute Erfahrungen gemacht.
Solange Deutschland daran nicht rüttelt, muss wenigstens der Vertrauensschutz verbessert werden. Das heißt:
- Vertrauensschutz im Festsetzungsverfahren verankern. Unternehmer dürfen nicht auf das Billigkeitsverfahren verwiesen werden.
- Ermittlungen am tatsächlichen Wissen des Unternehmers ausrichten. Vorschnelle Unterstellungen sind abzulehnen.
- Prävention stärken. Unternehmen müssen frühzeitig über Risiken aufgeklärt werden.
Fazit: Steuerrecht, Strafrecht und der Schutz gutgläubiger Unternehmer
Die kommende BFH-Entscheidung könnte den Vertrauensschutz stärken – oder den Status quo zementieren.
Klar ist: Das bestehende System setzt redliche Unternehmer unnötig großen Risiken aus. Wer am heutigen Umsatzsteuerprinzip festhält,
muss zumindest den Vertrauensschutz im Umsatzsteuerkarussell gezielt stärken. Andernfalls wird das Strafrecht weiter als Druckmittel gegen Unschuldige eingesetzt.