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11. Juni 2025

Zollreform im Anflug – politische Ambitionen, juristische Wirklichkeit

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Was Unternehmen und Verteidiger jetzt wissen sollten – auch ohne Gesetzentwurf

Im Juni 2025 trat Bundesfinanzminister Lars Klingbeil mit einer deutlichen Botschaft vor die Presse: Der Zoll sei nicht nur Einnahmequelle des Staates, sondern auch „erste Verteidigungslinie“ gegen Schwarzarbeit, Geldwäsche, Sanktionsverstöße und organisierte Kriminalität. Die Bilanz 2024 untermauert diese Aussage mit Zahlen: rund 150 Milliarden Euro Einnahmen, 97.000 Strafverfahren gegen Arbeitgeber, und mehrere Tonnen beschlagnahmter Drogen. Doch es blieb nicht bei der Bilanz – Klingbeil kündigte eine umfassende Reform an. Mehr Personal, mehr Befugnisse, neue gesetzliche Grundlagen. Noch vor der Sommerpause werde ein entsprechender Gesetzentwurf auf den Weg gebracht.

Was nach einem klassischen Reformeifer klingt, hat es aus strafrechtlicher Sicht durchaus in sich. Zwar liegt derzeit weder ein Referentenentwurf noch ein Gesetzestext vor. Doch die Stoßrichtung ist klar: Der Zoll soll nicht nur effizienter, sondern auch offensiver agieren dürfen – und zwar auf rechtlicher Grundlage, die mutmaßlich zu einer Verschiebung der Ermittlungsverhältnisse führen könnte.

Ein Gesetz ohne Gesetz?

Noch ist der Gesetzgeber nicht konkret geworden. Aber das politische Klima lässt wenig Zweifel daran, dass die angekündigten Neuerungen kein reines Schaufensterprojekt sind. Fachportale wie Haufe berichten bereits von strukturellen Veränderungen, die in Vorbereitung sind. Dazu zählen etwa:

  • eine Ausweitung der Kontrollrechte bei Postdienstleistern (bisher fast ausschließlich bei der Deutschen Post),
  • eine neue Regelung zur Behandlung von Bar- und Ersatz-Zahlungsmitteln,
  • die Schärfung der Sicherstellungskompetenzen,
  • sowie höhere Bußgeldrahmen und effizientere Verfahrensregeln für die Finanzkontrolle Schwarzarbeit.

Gerade im Bereich der Paketkontrolle ist die Änderung gravierend: Künftig könnten auch private Logistikdienstleister systematisch in staatliche Kontrollstrukturen eingebunden werden. Dass dies datenschutzrechtlich, verfassungsrechtlich und praktisch heikel ist, liegt auf der Hand – wird aber öffentlich bislang kaum thematisiert.

Die politische Sprache verrät die Richtung

Besonders bemerkenswert ist der politische Tonfall, in dem diese Maßnahmen angekündigt werden. Es gehe darum, „eine härtere Gangart“ einzulegen, so Klingbeil. Der Staat müsse zeigen, dass er sich nicht auf der Nase herumtanzen lasse. Solche Formulierungen sind selten bloß Rhetorik. Sie schaffen ein Klima, das polizeiliches Handeln legitimiert, noch bevor ein Gesetz erlassen wurde. Das hat nicht nur symbolischen Wert – es verändert auch faktisch die Dynamik von Ermittlungen, insbesondere bei Durchsuchungen, Verdachtsmeldungen oder der Einleitung von Strafverfahren.

Aus anwaltlicher Sicht ist dies ein kritischer Punkt. Denn wo gesetzgeberische Prozesse nicht mit derselben Präzision und Transparenz ablaufen wie die Ermittlungen, droht ein Ungleichgewicht. Unternehmen geraten dadurch leicht in Verteidigungsnöte – nicht, weil sie vorsätzlich rechtswidrig handelten, sondern weil sich die Erwartungshaltung der Ermittlungsbehörden schneller ändert als das Recht selbst.

Verteidigungsrealität im Wandel

Wenn der Zoll mehr Personal erhält, wenn seine digitalen Schnittstellen ausgebaut und seine Kontrollbefugnisse erweitert werden, dann hat das unmittelbare Auswirkungen auf die Praxis der Strafverteidigung. Vor allem in folgenden Bereichen ist mit einer Verschärfung zu rechnen:

  • Zoll- und Außenwirtschaftsrecht: Unternehmen, die grenzüberschreitend handeln, werden zunehmend zur Zielscheibe bei Verdacht auf Umgehung von Antidumpingmaßnahmen oder Einfuhrverstößen. Die Erfahrung zeigt: Der Vorwurf steht oft schneller im Raum als er sauber ermittelt ist.
  • Sanktionsverstöße: Die Durchsetzung von EU-Sanktionen – insbesondere gegen Russland – wird zunehmend auf den Zoll verlagert. Verstöße, die bislang als verwaltungsrechtliches Problem galten, werden immer häufiger als strafrechtlich relevant eingestuft.
  • Bargeld- und Finanzkontrollen: Die Ausweitung der Kompetenzen zur Kontrolle von Bargeld und Ersatz-Zahlungsmitteln – gemeint sind etwa Kryptowährungen oder Gold – trifft vor allem solche Mandanten, die im internationalen Kontext agieren und sich rechtmäßige Transaktionswege bewahrt haben, aber plötzlich mit dem Verdacht auf Geldwäsche konfrontiert sind.

All dies passiert in einem Umfeld, in dem der Zoll zunehmend autonom agiert, und zwar mit wachsendem Selbstverständnis als Ermittlungsbehörde.

Die positive Seite: Professionalisierung und Effizienz

Kritik ist berechtigt, aber sie sollte differenziert erfolgen. Denn es gibt auch Entwicklungen, die ausdrücklich zu begrüßen sind. Die Professionalisierung des Zolls, seine digitale Aufstellung und die strukturelle Stärkung der Ermittlungsgruppen können – wenn rechtsstaatlich kontrolliert – einen Beitrag dazu leisten, wirtschaftliche Kriminalität effektiver zu bekämpfen und auch diejenigen Verfahren schneller wieder einzustellen, bei denen sich der Anfangsverdacht nicht erhärtet.

Gerade in Bereichen wie Sanktionsumgehung und Schwarzarbeit gibt es tatsächliche Lücken, die auch die seriöse Wirtschaft stören. Es ist nicht verwerflich, wenn der Gesetzgeber diese Lücken schließen will. Verwerflich wäre es nur, wenn dies unter dem Deckmantel der Schlagzeile geschieht, ohne rechtssystematisch sauber zu arbeiten. Die Herausforderung liegt darin, die Balance zwischen Effektivität und Rechtsstaatlichkeit zu wahren – und das gelingt selten durch bloßen Aktionismus.

Was Unternehmen jetzt tun sollten

Auch wenn die rechtlichen Grundlagen noch nicht stehen: Für Unternehmen, insbesondere im grenzüberschreitenden Handel oder mit komplexen Lieferketten, empfiehlt sich schon jetzt eine strategische Überprüfung:

  • Sind die internen Compliance-Strukturen im Außenwirtschafts- und Zollbereich auf dem aktuellen Stand?
  • Werden Dokumentationspflichten ordnungsgemäß erfüllt – auch mit Blick auf Postversand, Zahlungsströme oder dual-use-Güter?
  • Ist klar geregelt, wer in der Organisation im Falle einer Durchsuchung, Beschlagnahme oder Befragung gegenüber Ermittlungsbehörden spricht – und wer nicht?

Die Erfahrung zeigt: Unternehmen, die auf Ermittlungsmaßnahmen vorbereitet sind, geraten seltener ins Straucheln – nicht weil sie unangreifbar wären, sondern weil sie professionell reagieren können.

Fazit

Noch ist nichts beschlossen. Aber vieles steht bevor. Die Zollreform 2025 existiert bislang nur als politische Agenda, nicht als Gesetz. Und dennoch verändert sie bereits jetzt das Verhalten von Ermittlungsbehörden, das Risiko für Unternehmen – und die Aufgaben der Verteidigung. Wer glaubt, abwarten zu können, bis das Gesetz beschlossen ist, hat die eigentliche Dynamik verkannt. Die entscheidenden Weichen werden im Vorfeld gestellt – durch Aufmerksamkeit, durch Struktur, durch strategisches Handeln.

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