Ein Beitrag zur rechtlichen Einordnung der neuen „consigned from“-Klausel und ihrer strafrechtlichen Implikationen.
Am 6. Mai 2024 hat die Europäische Kommission die Durchführungsverordnung (EU) 2024/1267 beschlossen. Mit dieser Regelung wurden die bestehenden Antidumpingzölle auf kaltgewalzte Edelstahlflachprodukte aus Indonesien auf solche Waren ausgeweitet, die über Taiwan oder Vietnam in die Europäische Union verbracht werden. Die Verordnung wurde am 7. Mai 2024 im Amtsblatt veröffentlicht und trat noch am selben Tag in Kraft (ABl. L 1267 v. 7.5.2024). Für Importeure und deren Berater markiert diese Ausweitung einen rechtspolitisch bemerkenswerten Schritt – und eine potenziell strafrechtlich folgenreiche Veränderung.
Versendungsstaat statt Ursprung – Der Wandel im Antidumpingrecht
Im Zentrum der aktuellen Regelung steht nicht etwa der Ursprung der eingeführten Ware, sondern der Begriff „consigned from“. Er knüpft – anders als das zollrechtliche Ursprungsrecht – nicht an die Herstellungs- oder Bearbeitungsstufen eines Drittstaats an, sondern allein an die letzte Versendung in Richtung des Unionsgebiets. Die Europäische Kommission verfolgt mit dieser Begriffsauslegung das Ziel, Umgehungstatbestände zu erfassen, bei denen die Ware über ein Drittland lediglich umgeleitet oder minimal weiterverarbeitet wird, ohne dass sich am wirtschaftlichen Ursprung etwas ändert. Diese Konstellationen sollen – auch ohne einen Wechsel des Ursprungslandes – künftig unter die Antidumpingregelungen fallen.
In der Praxis führt diese Erweiterung zu erheblicher Rechtsunsicherheit. Denn weder aus dem Wortlaut noch aus der bisherigen Verwaltungspraxis ergibt sich mit der gebotenen Klarheit, welche konkreten Vorgänge eine „Versendung“ im Sinne der Verordnung darstellen. Ist bloßes Umladen in einem asiatischen Hafenland bereits ausreichend? Muss ein Verarbeitungsschritt nachgewiesen werden – und wenn ja, welcher Intensität? Und wie kann ein Unternehmen überhaupt im Voraus erkennen, ob seine Lieferkette in den Anwendungsbereich einer solchen „Versendungsregel“ fällt?
Strafrechtliche Implikationen und verteidigungsstrategische Überlegungen
Für importierende Unternehmen ergeben sich daraus nicht nur wirtschaftliche Risiken durch nachträgliche Zollerhebungen, sondern auch strafrechtliche Implikationen. Denn wenn ein solcher Zoll nicht entrichtet wurde, weil das Drittland – aus Sicht des Unternehmens – nicht als Herkunftsstaat anzusehen war, steht schnell der Vorwurf der Steuerhinterziehung nach § 370 AO im Raum (§ 370 AO – Gesetze im Internet). In solchen Verfahren ist der zentrale juristische Prüfstein die Frage nach dem Vorsatz: War dem Importeur bekannt, dass seine Ware unter eine noch nicht veröffentlichte oder rechtlich unscharfe Definition fallen würde? Und konnte man ihm das Wissen und Wollen der Steuerverkürzung tatsächlich nachweisen?
Besonders brisant ist in diesem Zusammenhang die enge zeitliche Taktung zwischen Veröffentlichung und Inkrafttreten der Verordnung: Die Regelung trat bereits am Tag nach ihrer Annahme in Kraft, ohne Übergangsfrist, ohne Vorankündigung und – wie häufig bei Antidumpingverordnungen – ohne vorherige öffentliche Konsultation auf Unternehmensebene. Importeuren, die bereits vor diesem Zeitpunkt Lieferverträge geschlossen oder die Verzollung beauftragt hatten, bleibt damit oft keine realistische Handlungsoption. Für die strafrechtliche Bewertung dürfte dies bedeuten, dass im Einzelfall zu prüfen ist, ob überhaupt ein (auch nur bedingter) Vorsatz im Sinne des § 370 AO vorlag – oder ob das Handeln des Unternehmens durch rechtliche Unsicherheit, unklare Verwaltungspraxis und fehlende Kenntnis geprägt war.
Zudem stellt sich die Frage, inwieweit Unternehmen von den Möglichkeiten nach Art. 13 Abs. 4 der Antidumping-Grundverordnung (EU) 2016/1036 Gebrauch machen können, um eine Ausnahmestellung zu beantragen, sofern sie glaubhaft machen, dass sie nicht an Umgehungspraktiken beteiligt waren. Auch dies kann – in Kombination mit einer lückenlosen Dokumentation der Lieferketten – zu einer Entschärfung der zoll- wie auch strafrechtlichen Risiken beitragen.
Zollrecht trifft Strafrecht – Komplexität als Verteidigungschance
Der aktuelle Fall zeigt exemplarisch, wie komplex und wenig vorhersehbar die Schnittstelle zwischen europäischem Außenwirtschaftsrecht und nationalem Steuerstrafrecht geworden ist. Für Unternehmen, die im globalen Warenverkehr agieren, ist die präventive rechtliche Beratung ebenso wichtig wie eine strategisch geführte Verteidigung im Verdachtsfall. Für letztere braucht es Spezialisten, die sowohl die wirtschaftliche Realität internationaler Lieferketten verstehen als auch die verfahrensrechtliche Tiefe des deutschen Strafprozesses beherrschen.
Als Kanzlei mit langjähriger Erfahrung im Wirtschaftsstrafrecht – insbesondere im Bereich Zoll-, Außenhandels- und Antidumpingverfahren – stehen wir an der Seite unserer Mandantinnen und Mandanten, wenn Ermittlungsbehörden vorschnell agieren oder Verfahren aus politischem oder wirtschaftlichem Druck heraus angestoßen werden. Die juristische Analyse ist dabei nur der Anfang – entscheidend ist eine durchdachte, sorgfältig dokumentierte und taktisch kluge Verteidigung.
Empfehlung für Betroffene
- Jetzt handeln! Unternehmen sollten ihr zoll- und transportrechtliches Risikoprofil analysieren.
- Dokumentationspflicht ernst nehmen! Vollständige Unterlagen mindern den Vorsatzverdacht.
- Frühzeitige Verteidigung wagen! Insbesondere unklare Rechtslage und enge Fristen sind Verteidigungschancen.
Rumpf & Schmidt‑Tüshaus – Ihre Spezialisten im Zoll‑ und Wirtschaftsstrafrecht
Externe Quellen: